AlteMusiktrifftaufjungendlicheSchülerschaft

„Unsere Medienwerkstatt dient ja auch dazu“, sagt er, „auch die Jüngeren für unsere Alte Musik zu begeistern.“ Er ist Michael Rathmann und er kümmert sich um vieles. Sein Telefon klingelt unentwegt. Für das Festival Alte Musik Knechtsteden arbeitet er als Festivalmanager. Auf dem Rückweg aus Essen, unserem Drehort, kommen wir ins Gespräch. Ich frage mich, wie wir unsere SchülerInnen für die Alte Musik begeistern können.

Ich bin Lehrer für Deutsch und Geschichte und Referendar am Norbert-Gymnasium Knechtsteden. Im Mai fragte mich Herr Gillrath, der Schulleiter unserer Schule, ob ich nicht die Medienwerkstatt betreuen wollen würde. In Form eines Workshops sollten Schülerinnen und Schüler in Kooperation mit dem Festival Alte Musik Knechtsteden und einem für die Medienwerkstatt „eingeflogenen“, professionellen Kameramann, Raphael Hustedt, journalistisches Arbeiten üben. Wir starteten mit dem Videoworkshop und warben für drei der zahlreichen Veranstaltungen des Festivals, indem wir zu den Künstlern fuhren, sie interviewten, sie bei ihren Proben begleiteten – alles durch die Linse des sehr umfangreichen Equipments Raphael Hustedts.

Ich begleite die Medienwerkstatt und beobachte die sieben Schülerinnen unseres Gymnasiums bei ihrer Workshoparbeit. Sie sind vertieft. Als Raphael die Einstellungsmöglichkeiten seiner Kameras präsentiert, sind sie verblüfft: „Das ist ja krass, was man damit alles einstellen kann!“ „Wie teuer war das alles?“ „Sie sind ja ein richtiger Profi!“ Ja, das ist er. Und er könnte glatt als Lehrer durchgehen, wie er die Schülerinnen für die Kunst des bewegten Bildes zu begeistern weiß.

Die Begeisterung der Teilnehmerinnen begrenzt sich aber nicht nur auf die Technik der Kamera und aller mit ihr verbundenen Fertigkeiten. Auch die musikalischen Fertigkeiten der Künstler und der Ausdruck ihrer Passion für ihre Kunst hinterlassen in direktem Kontakt bei Interview und Probe bleibenden Eindruck. Philosophische Gedankengänge aus dem fernöstlichen China, die Lebendigwerdung der Puppen durch die darstellerische Leistung Frau Hanns im Figurentheater Cassiopeia in Köln, Einblicke in die Gregorianik und vieles mehr lassen die Schülerinnen in Welten eintauchen, die sich von den grell beleuchteten, virtuellen 5-Zoll-Lebenswelten ihrer sozialen Netzwerke unterscheiden – denn sie sind greifbar, fühlbar. Wenn die anderthalb Meter langen Saiten der exotischen Ghuzeng, die leidenschaftliche Stimme Chanyuan Zhaos und die vielseitigen Schlagwerke ihres Mannes Benjamin Leuschners den Proberaum des Duos Seidenstraße mit purer Spannung füllen, denkt niemand an die in den letzten fünf Minuten zahlreich eingegangenen, sonst nicht ignorierbaren Whatsapp-Nachrichten. Wir sind elektrisiert – Gänsehaut, Pipi in den Augen, Applaus, Applaus. Applaus im Proberaum. Wie schön, dass die kameraführende Schülerin für ihre Aufnahme mindestens drei Durchläufe braucht, um alles zu erfassen. Der letzte Ton klingt aus, prompt folgt die Frage: „Wann ist Ihr Konzert noch`mal?“ „Da müssen wir auf jeden Fall hin!“ Auch das Duo, Chanyuan Zhao und Benjamin Leuschner, sind sichtlich gerührt. „Das finde ich toll, dass Sie versuchen, Alte Musik auch jungen Leuten nahezubringen!“, sagt Herr Leuschner. Anfangs wirkten die beiden noch etwas verhalten, mittlerweile freuen sie sich über unseren zahlreichen Besuch und die Wertschätzung ihrer Kunst.

„Da müssen wir auf jeden Fall hin!“, wiederholt die Schülerin auf dem Rückweg in das Medienzentrum in Neuss. Ich grinse über beide Ohren. „Unsere Medienwerkstatt dient ja auch dazu“, sagt er, „auch die Jüngeren für unsere Alte Musik zu begeistern.“ Woran liegt es, dass die Jugendlichen klassische Konzerte nicht oder kaum besuchen? Im Gespräch mit Michael wird mir klar: Klassische Musik wird in der Regel von Älteren gehört. Nach ihnen richten sich die Künstler, die Veranstalter und schlussendlich auch die Besucher. Künstler äußern sich zu ihrer Musik in gehobener, mit Fachtermini bespickter Sprache, die Veranstalter laden Künstler ein, die dem ständigen, lebenserfahrenen Publikum gefallen und die Veranstaltung profitabel machen, und die Besucher, die nicht der habitualen Konventionalisierung entsprechen und nicht über die gehobene terminologische Sicherheit verfügen, bleiben zuhause, weil ihre Meinung im Diskurs über Musik oft nicht wahrgenommen wird.

Die sieben Schülerinnen der diesjährigen Medienwerkstatt jonglieren zwar nicht mit wohlklingenden Fachausdrücken und nehmen ein klassisches Stück nicht umfassend analytisch wahr, aber sie haben die Musik gefühlt und können sagen: „Das finde ich gut!“ Ich glaube, dass der Kontakt zur Alten Musik durch die Medienwerkstatt Interesse geweckt hat. Ein Tropfen auf den heißen Stein? Vielleicht. Ich finde, dass Jugendliche noch viel (zeit-)intensiver an die Alte Musik herangeführt werden müssten. Es müssten vielmehr (lebens-) wirkliche, also außerunterrichtliche Berührungspunkte mit klassischer Musik geschaffen werden, die die Empfindung ihrer Kunst auslöst. „Zu wenig beachtet die Schule klassische Musik.“, konstatiert auch Michael. Doch ist das alles?

Ich behaupte: Wenn das Stammpublikum morgen in den Reihen der Basilika in Knechtsteden, des Veranstaltungsortes vieler Konzerte des Festivals, links oder rechts neben sich sitzend ungläubig junge SchülerInnen registriert, dann impliziert das die Unüblichkeit jungen Publikums in klassischen Konzerten. Für den einen oder anderen mögen sie fehl am Platz sein, weil sie klassische Konzerte nicht in Abendkleid und Anzug, sondern gerne locker in Jeans und Shirt besuchen; weil sie all die Fachtermini der Musik nicht beherrschen, sondern die Musik auf sich wirken lassen; weil für sie eventuell wichtiger ist, cool zu sein und Spaß zu haben, als sich explizit zu bilden und die gehörte Musik unterrichtsähnlich zu analysieren. Freuen würde es mich jedoch allemal, wenn unsere Medienwerkstatt sie dazu angeregt haben würde, das Festival zu besuchen, weil die Erfahrung mit klassischer Musik Spaß gemacht hat und trotzdem irgendwie cool ist. Denn ich behaupte auch: Das ältere Stammpublikum verweist niemanden der klassischen Veranstaltungen. Vielmehr können Alt und Jung voneinander lernen. Alt lernt, das Wesentliche der Musik nicht aus den Augen zu verlieren; Jung lernt, Musik zu durchdringen, zu verstehen. Eine Bedingung ist, dass wir sie ernst nehmen, damit sie bleiben – nicht nur Jung, auch Alt. Die Medienwerkstatt übernimmt dabei eine wichtige Funktion, die künftig noch stärker in den Fokus genommen werden sollte.

Marcel Maric Lehrer für Deutsch und Geschichte am Norbert-Gymnasium Knechtsteden 

P.S.: Das Wichtigste für diesen Blog zur Medienwerkstatt sei noch hinzuzufügen, so eine Schülerin. „Schreiben Sie, dass wir alle cool sind. Ah, und, dass es Spaß gemacht hat.“

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